Kunst-am-Bau am Heidelberger Universitätsklinikum – Neubau Chirurgie

Vor mir liegt ein scheinbar endloser, weißer Gang mit hellgrau gefliestem Boden. Die Eingangshalle durchschreitend, nehme ich zuerst auf einer Säule, dann auf der linken Wandseite zu Beginn des Flures eine matte rot-metallische Linie wahr, die sich etwa auf Schulterhöhe befindet. Der warme Farbton zieht mich an, lädt dazu ein, näher heranzutreten. So erschließt sich mir eine handbreite Wölbung, die sich aus der Wand erhebt und an ihr entlang wächst. Sie schlängelt sich mehrere Zentimeter auf und ab in den langgestreckten Korridor hinein. Einzelne Fingerabdrücke und fingerdicke Vertiefungen einer Handfläche scheinen sich wie mit sanftem Druck in das Material eingeschrieben zu haben, als ob jemand im Vorübergehen versonnen seine Hände an der Mauer entlanggleiten ließ. Bald verschwindet dieser Pfad, um etwas später an einer anderen Stelle wiederentdeckt zu werden.


Licht sickert in die Vertiefungen des Materials ein, streift dieses und reflektiert dort, wo es befühlt wurde. Es scheint, als hätte die Hand neben dem Metall auch das Licht moduliert. Ich spüre dem nach, berühre die glatte Oberfläche, ertaste die schmalen Rillen. Meine Finger passen hinein, gleiten zwischen den Wölbungen hindurch, während ich an der Wand entlanggehe. Auf und ab streichen die Fingerspitzen, verlieren ihren Halt, entfernen sich von der Wand und finden wenig später zurück.
Das Metall erwärmt sich durch meine Berührung, wärmt so auch mich. Ich schließe die Augen, schweife ab, nehme bewusst wahr, was ich ertaste. Ich laufe weiter, langsam, bedächtig. Die Welt um mich herum entschleunigt sich. Die vielen Menschen im Gebäude rücken weit weg, während ich mich von der Hand des Künstlers führen lasse. So, an der Wand entlang schreitend, stelle ich mir vor, wie andere dies tun. Wie sie fühlen, was ich fühle, Schritt für Schritt. Wie sie sich Atemzug für Atemzug in fremde Hände begeben. Die erste Spur geht in die Wand über, ich kehre gedanklich zurück in die Realität. Öffne die Augen, wechsle die Wandseite und spüre nun auch mit der rechten Hand nach, was die linke bereits kennengelernt hat. Am anderen Ende angelangt, kehre ich den Blick zurück auf den Weg, der jetzt hinter mir liegt. In den Vertiefungen des Metalls erkenne ich nun auch die Spuren fremder Abdrücke neben meinen. Sie sind ein feiner Abrieb meiner Existenz.


Ich war hier.

Text: Lisa-Marie Pfeffel